Fremde Partner (German)

Annette Hoffmann
07.05.2016

Fremde Partner

FESTIVAL I: Die Uraufführung von Yasmeen Godders Choreografie “Common Emotions” im Theater Freiburg.

Die vierte Wand hatte man sich immer anders vorgestellt. Nüchterner und weniger durchlässig. Und schon gar nicht so, als hätte der costa-ricanische Künstler Federico Herrero eines seiner abstrakten Murals in die Luft geworfen. Yasmeen Godders Choreografie “Common Emotions” hat kaum begonnen, schon zieht einer der Tänzer das Bündel an Bändern hoch, das bislang auf der Bühne des Freiburger Kleinen Hauses gelegen hatte. Ein bunter Vorhang, zusammengenäht aus unterschiedlichsten Stoffstreifen, Animalprints, Geflochtenem, trennt von jetzt an den hinteren Teil der Bühne ab (Bühne und Kostüm: Gili Avissar).

Was hinter diesem Flickenteppich passiert, bleibt dem Publikum im vorsorglich erhellten Saal weitgehend verborgen. Während die übrigen Tänzerinnen und Tänzer synchron die Arme nach hinten nehmen, deutlich hörbar auftreten, das Becken nach vorn stoßen, erklärt Uri Shafir die Spielregeln: Immer wenn sich ein Tänzer auf die Seite stellt, sind wir eingeladen, auf die Bühne zu treten, hinter den Vorhang zu kommen und den Instruktionen zu folgen. Mehr als 20 auf einmal sollten es aber bitte nicht sein. Kichern vonseiten des Publikums. So groß ist die Begeisterung über diese Option dann doch nicht. Vorerst – tatsächlich bleibt keine der Aufforderungen unbeantwortet.

Auf der Bühne nimmt die Intensität zu, Gustav Holsts sinfonisches Werk “The Planets” klingt nach Frühling. Die Tänzer Shuli Enosh, Dor Frank, Ayala Frenkel, Uri Shafir, Ari Teperberg, Ofir Yudilevitch tragen Glitzertops zu kurzen Hosen, halbtransparente Shirts, sie schauen mal durch die Löcher des Flickenteppichs, mal verschränken zwei Frauen die Hände ineinander, ein Paar rennt lachend über die Bühne. Einmal beschimpft eine Publikumsgruppe hinter dem Vorhang einen der Tänzer, dann reißt sie auf der Bühne an seinen eng an den Körper gepressten Gliedern. Mehrfach wird eine Reihe von Zuschauern an einem sich auf dem Boden krümmenden Performer vorbeigeführt und aufgefordert, ihn anzusehen. Die Tänzer werden sich zu einem Trio vereinen und eine rohe Ausführung von fast klassischen Figuren zeigen, zwei der Frauen werden sich Mäntel und Masken wie aus einem exotischen Märchen überziehen. “Common Emotions” ist reich an Farbwerten, da gibt es komische, melancholische, aber auch parodistische und phantastische.

Dass die Uraufführung nun im Rahmen des Internationalen Festival Freiburg Tanz und Theater stattfindet, liegt an einer langjährigen Zusammenarbeit zwischen der israelischen, 1973 geborenen Choreografin und dem Theater Freiburg. Zuletzt war Godder wegen des deutsch-israelischen Forschungsprojektes “Störung/Hafraah” vor Ort. Das Zittern der Glieder, aber auch das vertrauensvolle Überlassen des Körpers einem fremden Partner, der diesen behutsam niederlegt, stammen von Parkinson-Workshops in Freiburg. In “Common Emotions” geht es im Laufe der 90 Minuten um Gefühle, die so alltäglich sind wie Freude, Trauer, Zuneigung oder Scham – und die uns allen gemein sind. Das Stück stellt Fragen nach Empathie und Fürsorge. Was passiert, wenn die Compagnie Shafir in den Schoß einer Zuschauerin legt und dieser sich um sie klammert und irgendwann zu schluchzen anfängt? Seine Trauer beruht auf Verstellung, aber ist das erheblich für die Reaktion der Zuschauerin? Ist der Reflex zu trösten nicht stärker als alles andere? Interessant wäre zu sehen, ob das Stück mit einem weniger homogenen Publikum ähnlich gut funktioniert und ob es dann nicht sogar noch politischer wäre.

“Common Emotions” ist utopisch, insofern es auf die Gemeinschaft setzt. Letztlich macht Godder nichts anderes als die theatralischen Mittel, die im besten Fall zu einer Art Katharsis führen, zu forcieren. Wenn am Ende die Compagnie am Boden liegt und ansteckend vor sich hin lacht, einer aber sich hoffnungslos im Vorhang verheddert hat und wie eine führungslose Marionette vor sich hin torkelt, ist das ein Plädoyer zur Gruppenbildung. Ein so heiterer wie ernster Abend.