Yasmeen Godder: Identität ist ein Punkt in der Ferne

Kathrin Kramer
31.10.2013

VOR DER PREMIERE: Gespräch mit der israelischen Choreographin und Tänzerin Yasmeen Godder.

  1. „Du bewegst dich im Grenzgebiet”: Yasmeen Godder Foto: thomas kunz

 

 

Yasmeen Godder liegt auf dem Boden der Probebühne und erspürt mit ihrem Körper die Bewegungen, die sie gerade im engen Austausch mit der Tänzerin Monica Gillette verfeinert. Die beiden liegen auf dem Rücken, bäumen den Oberkörper auf, drehen sich auf die Seite, winkeln ein Bein an, spreizen die Finger einer Hand auf dem Rücken ab. Eine Zeitlang bewegen sie sich synchron und doch jede auf ihre persönliche Weise, dann steht Yasmeen Godder auf, setzt sich im Schneidersitz auf einen Stuhl und schaut wieder zu. Sie ist die Choreographin. Die israelische Künstlerin tanzt und choreographiert, seit sie 1997 den Bachelor an der Tisch School of Arts, University of New York, abgelegt hat. Zusammen mit dem Co-Regisseur, Dramaturgen und Lebenspartner Itzik Giuli ist sie zur Zeit als Gast am Theater Freiburg. “Ghost Exercise” heißt das Stück, das am Freitag Premiere hat und im Rahmen des neuen Tanz-Netzwerks “Dance Trip” auch in Basel und Straßburg zu sehen sein wird.

Die Idee zum Stück entstand, als die gemeinsame Tochter noch sehr klein und Schlaf rar war, in einer jener Nächte, in denen die Gedanken zwischen Schlafen und Wachen ihre eigenen unkontrollierbaren Wege nehmen. “My name is Sarah and I am a ghost.” So begann in Itzik Giulis Kopf die Geschichte, die keine Geschichte ist, eher eine beständige Annäherung an das, was Identität sein könnte und zugleich Abkehr von jeder festschreibenden Definition. Dieser Geist, sagt Yasmeen Godder, der sie interessiere, sei das Fremde, “ein Teil der Persönlichkeit, den Du nicht kennst. Wie ein Punkt in der Ferne, mit dem du verbunden bist, dem du dich annäherst, weil etwas Persönliches hindurchschimmert, etwas, das mit dir zu tun hat. Die Spannung zwischen innen und außen interessiert mich.” Liest man Kritiken, durchzieht genau diese Spannung die Arbeit der international tätigen und ausgezeichneten Choreographin. Was ist Fake, was ist Realität. Wir erlernen, beschreibt sie, Bewegungen und Verhaltensweisen nach Mustern, formalen, uns fremden Kriterien und verbinden sie mit unserem persönlichen Ausdruck. Was ist angeeignet, was ist Eigenes – es geht auch um die (Un-)Möglichkeit von Authentizität und Eindeutigkeit.

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Inzwischen sitzen wir an einer der großen Glasscheiben im vierten Stock des Theaters mit Blick über die Dächer von Freiburg bis hin zu den Vogesen. Godder hat die ersten elf Jahre ihres Lebens in Israel verbracht, ist dann mit ihrer Familie nach New York gezogen und nach der Ausbildung 1999 nach Israel zurückgekehrt, wo sie in Jaffa ein eigenes Tanzstudio und eine Kompanie leitet. Zunächst schien ihr die Arbeit ihres Partners der Grund dafür, wieder in Israel zu leben. Inzwischen weiß sie, dass Israel ihre Basis ist und ihr ein Gefühl von Zuhause gibt, “a sense of home”. Wie sehr die politische Lage, die Alltäglichkeit von Gewalt, der Zustand des Bedrohtseins ihre Arbeit beeinflussen?

Das wird sie oft gefragt, und sie hat keine einfache Antwort. Natürlich fließe die Ungesichertheit der Lebenssituation in Israel auch in ihr künstlerisches Vokabular ein, sei Teil der Fragen, die sich stellen. Das Leben habe einen zumindest doppelten, einen vielschichtigen Boden. Du bewegst dich im Grenzgebiet, nimmst die Schönheit einer Landschaft wahr, die Farben, die Düfte, Du kennst die Geschichte, die Zerrissenheit, Du weißt um die permanente Gefahr. “Es gibt so viele Situationen im Leben, in denen ich nicht weiß, was genau ich fühle, weil die Gefühle so ambivalent sind.” Leben in Israel bedeutet für Yasmeen Godder auch, sich immer wieder mit der Frage nach Identität zu beschäftigen. So wie das Land seine Gestalt verändere, “je nachdem, durch welchen kulturellen Filter ich es betrachte”, so verschwimmen für sie dem Blickwinkel entsprechend auch die Umrisse einer Person. Identität ist keine fest Größe, “ein Punkt in der Ferne”.

Das sind Godders Themen, das Projekt aber sei “unique”. Es ist der Traum einer Tänzerin. Vor sieben Jahren sah Monica Gillette zum ersten Mal eine der radikal fremdartigen Choreographien von Yasmeen Godder und wünscht sich seitdem, mit ihr zu arbeiten. Gemeinsam mit der Tänzerin und Freundin Amit Hadari bat sie Godder, ein Stück für sie zu machen. “Einzigartig”, sagt Godder, weil normalerweise der Choreograph sich seine Tänzer aussucht, nicht umgekehrt. Das Projekt, sagt Yasmeen Godder, stellt die Hierarchien in der Tanzszene auf den Kopf. Die Tänzer schaffen sich ihre Arbeitsbedingungen. Die Gelegenheit hat sie sich nicht entgehen lassen.

- Premiere von “Ghost Exercise” am Freitag, 1. November, 20 Uhr, Kleines Haus. 0761/2012853.