Bewegungsorgie

Juliane Wieland
20.01.2012

Bewegungsorgie

Yasmeen Godder mit „Storm End Come” im HAU 2

Ein Bilderrauschen physischer Extreme. Die israelische Choreografin Yasmeen Godder zeigt in „Storm End Come” eine energiesprudelnde, farbenreiche Improvisationscollage purer Körperlichkeit. Es macht den Eindruck einer Improvisation, doch unter dieser ersten Schicht kommt eine Dramaturgie sensibler Beziehungsgeflechte zum Vorschein, die vor allem am Ende überrascht und überzeugt. Die sechs Performer sind ständig in Bewegung, förmlich unter Strom, und geben dem Zuschauer das permanente Gefühl etwas zu verpassen, sobald sich der Blick in einem Duett oder Trio verfangen hat, während an anderer Stelle eine weitere Explosion an Bewegung passiert. Ausgangspunkt für die Arbeit waren Fragen nach der Identität, die Yasmeen Godder und der Dramaturg Itzik Guili den Tänzern stellten. Herausgekommen ist eine ekstatische Recherche nach einer ehrlichen, glaubhaften Bewegungssprache. Keine von außen aufgeklebte Folie einer archaischen Tanztechnik, sondern aus dem Körperinneren heraussprudelnde Bewegung, die scheinbar keine physischen Grenzen kennt und ebenfalls in neue psychische Zustände führt. Sie springen sich mit einer enormen Durchlässigkeit an, Körper verschmelzen und schälen sich wieder auseinander, Köpfe tauchen auf und unter und verkehren oben und unten. Gummiartig sich biegende Torsos, hochschnellende Beine und ungewohnt organische Verbiegungen. Hier setzen kommunizierende Körper Energie in fesselnde Bewegung um. Das scharfe Gegenteil zu der gegenwärtigen blutarmen, bewegungserstarrten Berliner Tanzszene. Die puristisch weiße Bühne wird zur Leinwand bunter springender Farbklechse, die an Jackson Pollocks Action Painting erinnern und sekündlich ein neues Kunstwerk entstehen lassen. Das harmonische Soundgeblubber von Hajsch – “1992” bietet dabei den Gegenpol zu dem scheinbar physischen Kontrollverlust. Während die Bewegung in nahezu gagaesker Form aus den Körpern herauszubrechen scheint, wirkt der Gesichtsausdruck mitunter etwas überemotionalisiert. Dennoch bleibt die überragende physisch-tänzerische Qualität der sechs Tänzer in der Erinnerung haften, so dass die Bilder noch lange nachhallen.